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Während einer Studienreise nach Paris sei ihm zu Ostern 1905 der "sturzartig plötzliche Geburtsakt jener Gedankenwelt" zuteil geworden, so schilderte Worringer die Entstehung seines berühmten Buchs. Im Musée de Trocadéro allein in den "weiten Sälen, in denen sonst alles Leben erstorben ist" ereilte den jungen Studenten, der noch eher uninspiriert nach einem passenden Promotionsthema suchte, auf einmal selbst der "geistige Rauschzustand", den er später als Ursprung des Abstraktionsdranges konstatiert. Ob ihn dabei die völkerkundlichen Gegenstände aus fernen Kulturen stimulierten oder doch die "gipsernkalten Nachbildungen mittelalterlicher Kathedralplastik", offenbarte er nicht. Zwei Jahre später war Worringer, der Sohn eines Kölner Gastwirts, frischgebackener Doktor der Kunstgeschichte und zudem verheiratet mit Marta Schmitz, einer Malerin aus gutbürgerlichem Haus, die ihm fortan das Leben organisierte und alle Katastrophen der deutschen Geschichte mit ihm durchstehen sollte. Von 1902 bis 1909 lebte Worringer in München. Mehr noch als Berlin war die Stadt damals Zentrum der Avantgarde und der Bohemiens. Die Jugendstilkünstler störten die bayerische Behaglichkeit ebenso wie die vielen Erotomanen, Exzentriker, Sozialisten und sonstigen Weltverbesserer, die sich in Schwabing tummelten. Er freundete sich mit Heinrich Mann an und bewegte sich eine zeitlang im weiteren Umkreis des neuromantischen Dichterpriesters Stefan George. In dieser vibrierenden Atmosphäre entstand Abstraktion und Einfühlung. Alle seien damals "Wünschelrutengänger" gewesen, erinnerte sich Worringer später.
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